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Lehrkräfte zu Persönlichkeiten schulen

von Marcus Knill

Nach der Ermordung des St Galler Lehrers Paul Spirig übernahmen beinahe alle Medien tagelang die Thematik "Schule und Umfeld" mit vertieften Themen wie "Aufgaben der Rolle der Lehrer". Eine geballte Ladung von Fragen wurde angesprochen:
  • Haben Lehrer als Autoritätspersonen ausgedient?
  • Fehlt es den Lehrpenonen an Selbstvertrauen?
  • Schwinden die gemeinsamen Wertvorstellungen im Umfeld Schule md Öffentlichkeit?
  • Wie weit darf sich eine Lehrkraft in familiäre Fragen einmischen?
  • Sind Lehrer für die neue Funktion als Coach überhaupt genügend ausgebildet?
  • Sind die Lehrkräfte im Umgang mit renitenten Schülern und Eltern genügend vorbereitet?
  • Werden überhaupt Pädagogen in der Ausbildung im "Umgang mit Provokationen" geschult?

Wer Einblick hat in den Schulalltag, der stellt täglich fest: Der Druck auf die Lehrkraft hat auf verschiedenen Ebenen zugenommen; zum Beispiel in den folgenden Bereichen:
  • Schüler- und Elternansprüche,
  • Leistungsdruck,
  • stärkere emotionale Belastung,
  • wechselnde Lernformen, Methoden, Lehrpläne, Unterrichtsstufen,
  • Kinder, die nicht Deutsch können,
  • multikulturelle Klassen.

Es klaffen die Unterschiede zwischen Berufsideal und Realität, zwischen Kopflastigkeit und zwischen handwerklichen Fächern immer stärker auseinander.

Die Problematik zeigt: Die Frage von externen Beratern für Lehrer muss offen diskutiert werden. Gute Berater sind eigentlich nur dann gute Berater, wenn sie nicht lange gebraucht werden, wenn die Berater die betreuten Pensonen befähigen, selbst ihre Probleme zu meistern. Diese Erkenntnis ist leider noch nicht überall verbreitet. Konkret:

Gesucht sind eigentlich jene externen Helfen, die einen befähigen, dass sich jemand selbst helfen kann.

Mit unserer Schule kann etwas nicht stimmen wenn Lehrpersonen nur zur Schule gehen können, wenn sie für tägliche Belange oder Probleme fremde Hilfe bekommen. In vielen Belangen nutzt die Schule seit Jahren verchiedenste externe Angebote, die unbestritten sind: Die Polizei erteilt den Verkehrsunterricht. Der Schularzt referiert über Aids. Ein Umweltspezialist demonstriert, wie Abfall richtig entsorgt werden kann, usw. Auch Logopädinnen, Schulpsychologen, Supervisoren und Heilpädagogen können notfalls angefordert werden. All diese Hilfen sind durchaus sinnvoll, wer der Themenbereich das Fachwissen der Lehrkraft übersteigt und wenn es um Notsituationen geht.

Doch wenn nun das Angebot der externen Helfer bei alltäglichen Belastungen oder bei allen persönlichen psychologischen Belangen beliebig erweitert würde, zum Beispiel durch
  • persönliche Therapien,
  • Selbsterfahrungen,
  • Kriseninterventionen,
  • Mediation,
  • Umgang mit Stress,
  • Gewaltinterventionen,
  • übliche Teamkonflikte,

da wäre tatsächlich die Frage berechtigt, ob die heutige Schule auf dem richtigen Weg ist. Bei üblichen Alltagsproblemen müssten die Lehrerinnen und Lehrer befähigt werden, Konflikte und Belastungen eigenständig oder im Team zu lösen.
Wenn heute von Lehrkräften viele neue Aufgaben verlangt werden wie Coachen, Moderieren, Beraten, müssen sie dann nicht in erster Linie für diese alltäglichen Aufgaben in der Grundausbildung ausgerüstet werden? In vielen pädagogischen Hochschulen erfolgte bereits ein Umdenken. Sie werden für diese gegenwärtigen Aufgaben gebildet. Jene Lehrerinnen und Lehren, die Konfliktfähigkeit, Umgang mit Provokationen, mit Stress oder Belastung im Studium noch nicht erlernt haben, könnte mit einer fachgerechten Weiterbildung nachgeholfen werden. Ebenfalls mit dem Ziel, Schwierigkeiten möglichst selbst meistern zu können. Letzlich ist dies gewiss auch oekonomischer als die Lösung mit kostspieligen externen Helfern.
Ein Kursteilnehmer meinte jüngst an einem Weiterbildungssminar recht provokativ:
"Lehrer sind selbst schuld, wenn sie nicht mehr ernst genommen werden. Grund: Sie können und wollen gar nicht mehr selbständig arbeiten. Sie weichen Entscheidungen aus. Haben ein Problem, rufen sie sofort nach einem Experten .. "
Diese Aussage ist übertrieben, doch es lässt sich trotzdem daraus ableiten: Die Entwicklung im Schulalltag darf nicht in Richtung "Delegieren" gehen, sondern in Richtung "Hilfe zur Selbsthilfe", im Befähigen der Lehrkörper mit Kompetenzen wie
  • Beraten,
  • Coachen,
  • Selbstmanagement,
  • Konfliktfähigkeit,
  • Belastungsfähigkeit,
  • Zeitmanagement,
  • Umgang mit der Infomationsfülle.

So gesehen, müsste die Antwort auf die Frage "Mehr externe Hilfe für Lehrpersonen?" so lauten: In Notsituationen braucht es sicherlich externe kompetente Hilfen. Generell müsste aber den Lehrkräften so geholfen werden, dass sie eigenständige starke Persönlichkeiten werden.

Dieser Artikel ist in den Schaffhauser Nachrichten am 6. Februar 1999 erschienen.

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